Es gibt eine neue Wertschätzung für den Bestand.

Herr Nagel, die REGIONALE 2025 entwickelt Bestände weiter und nutzt diese um. Die Beschäftigung mit der Transformation von Beständen ist nicht neu, aber bundesweit gerade sehr präsent. Warum ist das so?

Weil wir noch nie so viel Bestandsgebäude und -bauwerke hatten wie heute: 361 Tonnen je Einwohner. Damit müssen wir verantwortlich umgehen. Eine Alternative, alles neu zu Bauen, gibt es nicht. Aber nicht nur Umwelt- und Ressourcengründe sprechen für den Bestand. Ortsbildprägende Bauwerke tragen zu Vielfalt und Charakter der Quartiere bei. Hier stelle ich eine neue Wertschätzung dessen fest, was wir schon haben und ein engagiertes Ringen um zukunftsfähige Nutzungs- und Gestaltungskonzepte. Insbesondere das Bergische RheinLand verfügt bei der Umnutzung von Beständen über ein großes Potenzial. Die REGIONALE war sich dessen von Anfang an bewusst und liefert mit zahlreichen realisierten Konversionsprojekten unterschiedlicher Maßstäblichkeit konkrete Ergebnisse.

Viele – private wie öffentliche – Bauherren sind skeptisch, ob Umbau tatsächlich günstiger oder rentabler ist. Was spricht langfristig für den Umbau bestehender Gebäude anstatt des Neubaus?

Eine neubaugleiche Sanierung kann tatsächlich teuer werden und rechnet sich dann vor allen Dingen über ideelle Werte. Wir machen aber häufig und schnell zu viel. Es geht ja nicht um maximalen Umbau, sondern um ein Optimum von (minimalem) Aufwand und (maximalem) Nutzen. Dazu braucht es einen guten Planungsvorlauf, kreative Planende und kundige Handwerker. Für den Bestand ist es ebenfalls häufig ein Segen, wenn er nicht total überformt wird, sondern intelligent und eingriffsreduziert weiterentwickelt werden kann. Letztlich können Bauherren ihre Kostenrisiken beim Bestandsumbau auf diese Weise ein Stück weit selbst steuern.

Sie sprechen in Ihren Vorträgen oft von „Goldener Energie“. Was verstehen Sie genau darunter und wie unterscheidet sich dieser Ansatz von herkömmlichen Ansätzen zur Energieeinsparung und Reduzierung grauer Energie in Bauprojekten?

Der Begriff „Goldene Energie“ soll verdeutlichen, dass nicht nur CO2, also „graue“ Energie in Bestandsgebäuden gebunden ist, sondern auch immaterielle, kulturelle Werte. Das sind die Geschichte des Hauses, seine bisherige Funktion, die Materialien und besondere Bauweise, seine zeitgenössische Gestaltung und handwerkliche Qualität. Gegenüber Neubauten zeichnen sich Bestandsgebäude oftmals durch die gewachsene Einbindung in den städtebaulichen Kontext aus und bieten damit ein besonderes Identifikationspotenzial. Die „Goldener Energie“ wirkt emotional. Sie kann zum Gestaltprinzip werden und ermöglicht positive Bauchentscheidungen für den Bestandsumbau.

Das Projekt Zanders ist das größte Umbauprojekt im Bergischen RheinLand. Wie bewerten Sie die Strategie für die Umnutzung und kann dieses Areal als Modellprojekt für andere Städte und Regionen gesehen werden?

Es ist durch den bisherigen Vorlauf der Phase Null schon heute eine wichtige Referenz für die künftige Konversion von Industrieflächen. Während vielerorts Grundstücke komplett geräumt an den Markt gebracht wurden oder die BImA (Anm. d. Red.: Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) Flächen immer noch mit Abrissverpflichtung verkauft, werden hier möglichst viele der bisherigen Sonderbauwerke erhalten. Diese Beweislastumkehr – alles bleibt erhalten, es sei denn, es kann nicht genutzt werden – erzeugt schon jetzt eine spannendere städtebauliche Vision als sie ein Neubaukonzept ermöglichen könnte. Also bitte dranbleiben, dann wird daraus sicher ein Modellprojekt mit internationaler Ausstrahlung.

Im Bergischen RheinLand gibt es neben der Weiterentwicklung größerer Industrieareale insbesondere zahlreiche kleinere Bestandsgebäude, die umgenutzt werden – auch im Rahmen der REGIONALE. Welche Herausforderungen bestehen bei solchen kleinmaßstäblichen Projekten?

Es braucht hier wie da Menschen, die sich engagieren und starkmachen für ein Gebäude, einen Umbau, eine Umnutzung. Bei kleineren Projekten sind das oft Vereine oder Initiativen. Solche Vorhaben leisten in der Regel einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Die REGIONALE hat dies frühzeitig erkannt und diese Vorhaben aktiv unterstützt und in Umsetzung gebracht. Konkrete Beispiele sind z. B. die ehemalige Bankfiliale in Windeck, die nun als Dorfladen genutzt wird, oder der Jägerhof in Bergneustadt, der aktuell zu einem genossenschaftlich betriebenen Kulturtreffpunkt umgebaut wird. Eine besondere Herausforderung ist dabei die gute Aufstellung des Projektes, also die Phase Null. Hilfreich ist daher die Vernetzung solcher kleineren Projekte: Wie seid ihr vorgegangen, was müssen wir beachten? In Brandenburg gibt es z.B. die Kompetenzstelle Bahnhof beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), die privaten und kommunalen Eigentümern von Bahnhöfen dabei hilft, die Gebäude zu sanieren und sie mit Leben zu füllen. Durch die Vermittlung von Kontakten zu Eigentümern, Planungsbüros und Fördermöglichkeiten werden Hürden abgebaut und Menschen vor Ort dazu ermutigt, sich für ihren Bahnhof einzusetzen. Außerdem hilft es gerade kleineren Projekten, wenn die regulativen Hürden des Bauordnungs- und Planungsrechts endlich im Sinne eines erweiterten Bestandsschutzes abgebaut werden.

Eine ehemalige Bankfiliale wird nun als Dorfladen genutzt.

Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie beim Umbau und der Weiternutzung von Gebäuden in eher ländlich geprägten Räumen wie dem Bergischen RheinLand? Gibt es Unterschiede zu urbanen Räumen?

Der Schlüssel für den Erhalt von Gebäuden ist deren dauerhafte Nutzung. Hierzu muss uns gerade bei leerstehenden Gebäuden zuallererst etwas einfallen, oder wir müssen Nutzungskonzepte systematisch entwickeln. Hier geht in den urbanen Zentren wegen der generell höheren Nachfrage zwar grundsätzlich mehr, andererseits ist aber auch der Abrissdruck dort größer. Am Land müssen wir parallel und perspektivisch die Standortbedingungen durch Infrastrukturausbau verbessern. Das sind Nahverkehr, Bildung, Gesundheit, ein kultureller Treffpunkt und generell Versorgung. Schon ein kleiner Dorfladen, vielleicht mit Kneipentresen wie in Irland, hilft, wieder neue Lebensperspektiven im Bestand zu sehen. Daher ist es ein Ansatz, Leerstand in ländlichen Räumen zunächst durch diese Brille zu betrachten und zu erwägen, inwieweit solche Infrastrukturangebote als Vorleistung zur Belebung und zur Attraktivitätssteigerung des Ortes und seiner Umgebung genutzt werden können.