Der kam 1905 nach Gummersbach, war Pfarrer und Leiter des Lehrerseminars, der Vater in den 1920er-Jahren Syndikus der bergischen Industrie- und Handelskammer. Der Sohn wurde 1929 in Düsseldorf geboren, die Mutter, stolz auf ihre Herkunft aus dieser Stadt, brachte ihre drei Kinder dort zur Welt, aber die prägenden Schul- und Jugendjahre verbrachte Jürgen Habermas in Gummersbach, bis zum Abitur 1949 am Gymnasium Moltkestraße. „Man kennt sich untereinander nur zu gut – aber die, die nicht ganz dazu gehören, auch wiederum nicht gut genug“, erinnert er sich anlässlich des Stadtjubiläums.
Darin klingt schon sein philosophisches Grundthema an, der öffentliche Diskurs, die Theorie einer idealen politischen Kommunikation als Voraussetzung der Bildung einer politischen Gesinnung der Bürger*innen, die den Konsens ermöglicht und ihre Fähigkeit zum Kompromiss. Sein viel zitiertes Hauptwerk heißt „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962).
Dass es dem Philosophen immer und vor allem um Sprache und Öffentlichkeit geht, hat auch mit einem ärztlichen Eingriff zu tun, den er als Fünfjähriger über sich ergehen lassen musste, der zu einem bleibenden Sprachdefekt geführt und „seine Denkwege nicht unwesentlich beeinflusst hat“, wie sein Biograf schreibt. „Er erfährt am eigenen Leib, welche Bedeutung das Medium der sprachlichen Kommunikation als Schicht einer Gemeinsamkeit hat, ohne die wir auch als Einzelne nicht existieren können.“ Habermas wird bisweilen als „Meisterdenker“ der Gegenwart tituliert, als „letzte stabile Institution der Republik“ mit seinem durchgängigen Rekurs auf gesellschaftliche Großabteilungen wie Kommunikation und Diskursethik, Glaube und Wissenschaft, Demokratie und Öffentlichkeit. Der Philosoph personifiziert nahezu die Ideengeschichte der Republik, auch mit seinen immer wieder überraschenden Interventionen, zuletzt im Frühjahr 2023, als er im Ukraine-Krieg zu Verhandlungen riet, damit irritierte und doch nur erneut belegt, dass Verständigung fragil ist, nicht selbstverständlich und immer wieder gepflegt werden muss. Jürgen Habermas wird am 18. Juni dieses Jahres 95.