Was wäre aber, der Gedanke sei erlaubt, wenn er nicht erschlagen worden wäre? Was wäre anders gewesen und vor allem anders geworden?

So ungewöhnlich die Frage klingt, diese Art der „kontrafaktischen“ Geschichtsbetrachtung ist zwar selten, aber nicht unüblich. Was wäre, wenn Luther die Bibel nicht übersetzt hätte? Was, wenn das Attentat auf Hitler 1939 geglückt wäre? Was also, wenn Engelbert nicht erschlagen worden wäre?

Er war ja nicht nur einer der mächtigsten Fürsten im Land, als Kölner Erzbischof nicht nur Herr der reichsten Kirchenprovinz, sondern quasi auch Stellvertreter des Kaisers. Wenn er also nicht erschlagen worden wäre? Engelbert hätte weiter an der Einheit seiner Macht arbeiten, die Differenzen zwischen Köln und der Region, der Metropole und dem Bergischen ausgleichen können. Dann hätte es auch nicht eine Generation später die Schlacht von Worringen gebraucht und gegeben, weil die Machtverhältnisse klar gewesen wären. Die bergischen Bauern hätten sich nicht gegen den Kölner Erzbischof gestellt, ihn nicht auf Schloss Burg gefangen gesetzt und sie wären treue Bürger ihres Fürsten und vor allem katholische Anhänger ihres Bischofs geblieben.

Das Bergische wäre katholisches Kernland geblieben und kein Reformator hätte hier Fuß gefasst. Dann hätte es auch keine konziliante Religionspolitik der protestantischen Regenten wie Herzog Wilhelm V. gegeben und keinen Einfluss seiner humanistischen Räte. Niemals hätten sich also die niederländischen Calvinisten hier niedergelassen, sie wären gar nicht aufgenommen worden, also auch keine Weber und Tuchmacher, keine Goldschmiede und Seifensieder, die das Bergische handwerklich geprägt haben. Auch die Hugenotten wären später nicht ins Bergische gezogen, sondern gleich weiter nach Preußen. Es gäbe keine protestantischen Unternehmer an Wupper oder Agger, Mülheim wäre nicht der Hotspot des Frühkapitalismus, Solingen nicht die Hochburg der Tüftler und Bastler und ganz sicher gäbe es keine 34 Sekten in Wuppertal. Denn alles, alles wäre katholisch und papsttreu geblieben, wenn Engelbert nicht erschlagen worden wäre. Vor allem aber wüsste niemand vom Neandertaler – jedenfalls nicht unter diesem Namen. Es hätte keinen Joachim Neander gegeben in Düsseldorf, einen pietistischen Kirchenliedkomponisten im 17. Jahrhundert, der mit seiner frommen Schar sonntags ins Freie zog zum Singen in Gottes schöner Natur und nach dem später dieses Bachtal benannt wurde, in dem man noch später die archäologischen Funde machte und sie nach dem Fundort „Neandertaler“ nannte.

Es gäbe auch keinen Spott des Friedrich Engels übers Bergische, dessen Vater nicht in Engelskirchen, sondern im fernen Manchester sein Geld und Glück gemacht hätte, sodass der Sohn auch nie Karl Marx in Köln kennen gelernt und folglich auch nicht mit ihm das Kommunistische Manifest verfasst hätte. Ohne Manifest auch keine kommunistische Bewegung, keine Oktoberrevolution, kein Eiserner Vorhang, keine Mauer und keine Wiedervereinigung – wenn Engelbert am 7. November nicht in Gevelsberg erschlagen worden wäre.

Es gäbe auch keine Residenzstadt Düsseldorf, die ja mit der Schlacht von Worringen erst zur Stadt erhoben wurde – und Nordrhein-Westfalen würde weiterhin von der Wupper aus regiert. Schließlich könnten die Kölner*innen in der Domschatzkammer auch keinen Heiligenschrein mit den Knochen des Engelbert präsentieren, die Pfarrkirche in Solingen keinen Finger und es gäbe kein „Herz“ des Heiligen im Altenberger Dom. Denn es gäbe gar keinen „Heiligen Engelbert“ – wenn er nicht erschlagen worden wäre.